Artikel vom 31.10.2024

Ausnahme von Rechts-vor-Links bei Abgesenktem Bordstein: Urteil des LG Lübeck und die Haftung bei Verkehrsunfällen

Die Rechts-vor-Links-Regelung ist ein wichtiger Grundsatz im deutschen Straßenverkehr, der jedoch nicht ohne Ausnahmen gilt. Eine wesentliche Ausnahme betrifft den Fall, wenn ein Fahrzeug über einen abgesenkten Bordstein in die Straße einfährt. Dies bestätigte jüngst das Landgericht (LG) Lübeck in einem Urteil, das verdeutlicht, wie Verkehrsteilnehmer haften, wenn sie diese Regel missachten. Hier erfahren Sie, wie das Urteil des LG Lübeck zustande kam, welche Rolle die Straßenverkehrsordnung (StVO) spielt und worauf Autofahrer im Alltag besonders achten sollten.

Abgesenkter Bordstein und Rechts-vor-Links: Wann gilt die Ausnahme?

Die Rechts-vor-Links-Regel besagt grundsätzlich, dass Fahrzeuge, die von rechts kommen, Vorfahrt haben. Diese Regelung dient der Sicherheit im Straßenverkehr und wird an Kreuzungen und Einmündungen ohne gesonderte Vorfahrtsbeschilderung angewandt. Doch laut § 10 der StVO gibt es eine Ausnahme, die insbesondere in Wohngebieten und auf Parkplätzen wichtig wird: Fahrzeuge, die über einen abgesenkten Bordstein in eine Fahrbahn einfahren, haben kein Vorfahrtsrecht. Hier gilt, dass der Einfahrende die Verantwortung trägt, keine anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden.

Das LG Lübeck bestätigte in einem kürzlichen Fall diese Rechtsauffassung und entschied, dass ein von rechts kommender Fahrzeugführer, der über einen abgesenkten Bordstein fuhr und dabei in einen Unfall verwickelt wurde, die volle Haftung übernehmen müsse. Die Entscheidung bezieht sich auf den eindeutigen Verstoß gegen § 10 StVO, der dem Einfahrenden die Verantwortung auferlegt.

Der Fall: Unfall bei Einfahrt über einen Abgesenkten Bordstein

In dem verhandelten Fall kam es zu einem Unfall, als ein Fahrzeugführer von rechts kommend über einen abgesenkten Bordstein in die Straße einfuhr und mit einem anderen Fahrzeug, das geradeaus fuhr, kollidierte. Der Fahrer des geradeaus fahrenden Pkw forderte von der gegnerischen Haftpflichtversicherung die Übernahme der Reparaturkosten in Höhe von rund 4.300 Euro. Die Versicherung verweigerte jedoch die Zahlung und argumentierte, dass der Unfallverursacher von rechts kam und daher Vorfahrt gehabt habe.

Das LG Lübeck wies diese Argumentation zurück und stellte klar, dass die Rechtslage hier eindeutig sei. Das Einfahren über einen abgesenkten Bordstein entspricht nach § 10 StVO einem Einfahren aus einem Grundstück oder einem verkehrsberuhigten Bereich. Hier trägt der Einfahrende die Verantwortung, eine Gefährdung des fließenden Verkehrs zu vermeiden. Das Gericht legte fest, dass der Fahrzeugführer, der über den abgesenkten Bordstein gefahren war, die alleinige Schuld trage und die volle Haftung übernehmen müsse.

Beweis des Ersten Anscheins bei Unfällen über Abgesenkte Bordsteine

Das Prinzip des ersten Anscheins spielt in Fällen wie diesen eine zentrale Rolle. Bei einem Unfall, der im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einer Einfahrt über einen abgesenkten Bordstein stattfindet, liegt die Schuldvermutung beim Einfahrenden. Der sogenannte „Beweis des ersten Anscheins“ spricht in diesen Fällen für ein schuldhaftes Verhalten desjenigen, der aus einem anderen Bereich – etwa einem Parkplatz oder Grundstück – in den fließenden Verkehr eingefahren ist.

Das Gericht stellte fest, dass der Beklagte keine ausreichenden Beweise dafür vorlegen konnte, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Um die Vermutung des schuldhaften Verhaltens zu widerlegen, müsste der Beklagte stichhaltige Argumente für eine außergewöhnliche Verkehrssituation oder einen anderen, unvorhersehbaren Umstand liefern. Da dies nicht der Fall war, entschied das Gericht, dass der Beklagte die volle Haftung für den Unfall übernehmen müsse.

Abgesenkter Bordstein und § 10 StVO: Kein Vorfahrtsrecht auf Parkplätzen

Auch auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen gilt die Regelung des § 10 StVO. Das bedeutet, dass ein Fahrer, der über einen abgesenkten Bordstein aus einem Parkplatz oder einem verkehrsberuhigten Bereich in die Straße einfahren möchte, kein Vorfahrtsrecht genießt.

Das LG Lübeck führte in seiner Urteilsbegründung aus, dass es keine Rolle spiele, ob der Einfahrende von einer öffentlichen Straße oder einem Parkplatz kam – der abgesenkte Bordstein macht ihn gemäß § 10 StVO zum nachrangigen Verkehrsteilnehmer. Das bedeutet, dass er besonders vorsichtig agieren und gegebenenfalls warten muss, bis die Fahrbahn frei ist. Diese Regelung soll die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen und den fließenden Verkehr vor unvorhergesehenen Einfahrten schützen.

Haftungsverteilung und die Betriebsgefahr des Geradeausfahrenden

Die Betriebsgefahr des geradeaus fahrenden Fahrzeugs wurde im Urteil des LG Lübeck als nachrangig eingestuft. In der Regel wird bei Verkehrsunfällen eine Abwägung der sogenannten Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge vorgenommen. Dabei wird bewertet, inwieweit das normale Risiko, das von einem in Betrieb befindlichen Fahrzeug ausgeht, zum Unfallgeschehen beigetragen hat. In diesem Fall entschied das Gericht jedoch, dass die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs hinter dem klaren Verstoß gegen § 10 StVO zurücktritt.

Diese Bewertung des Gerichts bedeutet, dass der Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht bei Einfahrten so schwerwiegend ist, dass die Betriebsgefahr des geradeaus fahrenden Fahrzeugs nicht in die Haftungsverteilung einbezogen wurde. Der Beklagte trägt somit die volle Verantwortung für den entstandenen Schaden.

Gerichtsurteil des LG Lübeck: Die Folgen für Verkehrsteilnehmer

Das Urteil des LG Lübeck zeigt auf, wie wichtig es ist, die Regelungen des § 10 StVO bei der Einfahrt in den fließenden Verkehr zu beachten. Fahrzeugführer sollten sich bewusst sein, dass eine Einfahrt über einen abgesenkten Bordstein, etwa von einem Parkplatz, sie rechtlich in die Position eines nachrangigen Verkehrsteilnehmers versetzt. Das gilt selbst dann, wenn sie von rechts kommen, da der Schutz des fließenden Verkehrs hier Vorrang hat.

Für Autofahrer bedeutet dies, dass besondere Vorsicht geboten ist, wenn sie von einem Parkplatz, einer Einfahrt oder einer anderen Nebenfläche auf die Straße einfahren. Wer hier eine Gefährdung des fließenden Verkehrs verursacht, muss mit einer vollständigen Haftungsübernahme bei Unfällen rechnen.

Praktische Tipps für die Einfahrt über Abgesenkte Bordsteine

  1. Vorausschauend fahren: Planen Sie die Einfahrt in den fließenden Verkehr rechtzeitig und fahren Sie langsam an die Einfahrt heran.
  2. Blickkontakt mit anderen Verkehrsteilnehmern: Versuchen Sie, Blickkontakt mit Fahrern im fließenden Verkehr herzustellen, um Ihre Absicht anzuzeigen und Missverständnisse zu vermeiden.
  3. Anhalten, wenn nötig: Warten Sie, wenn der Verkehr nicht sicher passiert werden kann. Der fließende Verkehr hat Vorrang, und als Einfahrender tragen Sie die Verantwortung.
  4. Besonderheit auf Parkplätzen beachten: Beachten Sie, dass diese Regel auch auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen gilt. Auch dort kann ein abgesenkter Bordstein eine klare Nachrangigkeit begründen.
  5. Sorgfältiges Beobachten: Achten Sie auf Fahrradfahrer und Fußgänger, die oft unvorhersehbar erscheinen. Auch bei niedrigen Geschwindigkeiten können Unfälle schwerwiegende Folgen haben.

Einhaltung der StVO bei Abgesenktem Bordstein Essenziell

Das Urteil des LG Lübeck zur Einfahrt über einen abgesenkten Bordstein und zur Haftung im Falle eines Unfalls verdeutlicht die Tragweite der Vorschriften in § 10 StVO. Wer als Autofahrer von einem Parkplatz, einem Grundstück oder einem verkehrsberuhigten Bereich über einen abgesenkten Bordstein in die Straße einfährt, sollte sich der rechtlichen Konsequenzen bewusst sein. Eine Missachtung dieser Vorschrift führt im Falle eines Unfalls in der Regel zu einer vollständigen Haftung.

Die Entscheidung des LG Lübeck dient als wichtiges Beispiel und Mahnung für alle Verkehrsteilnehmer, die Regeln der StVO zu befolgen und auf ihre Umgebung zu achten, um unnötige Risiken zu vermeiden.


Quelle(n): https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/verkehrsrecht/lg-luebeck-volle-haftung-bei-unfall-ueber-abgesenkten-bordstein_212_628650.html Bild von Henryk Niestrój auf Pixabay


×