Artikel vom 23.06.2025
Autobahnunfall: Mitschuld von Polizeibeamten bei Verkehrsunfall festgestellt

OLG Frankfurt erkennt Mitverantwortung von Bundespolizisten bei tragischem Unfall auf der A4
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass Bundespolizisten bei einem Autobahneinsatz eine Mitschuld an einem tödlichen Verkehrsunfall tragen können, wenn sie sich zu lange und unzureichend gesichert im unmittelbaren Gefahrenbereich aufhalten. Konkret ging es um einen Unfall auf der A4 bei Kirchheim, bei dem ein Polizeibeamter ums Leben kam und zwei weitere schwer verletzt wurden.
Die Entscheidung verdeutlicht die rechtlichen Grenzen bei Einsätzen auf Autobahnen und unterstreicht die Sorgfaltspflichten auch für Einsatzkräfte, wenn sie sich als Fußgänger auf Fahrbahnen begeben.
Der Unfall: Einsatzkräfte geraten auf linker Spur in tödliche Gefahr
Im November 2015 ereignete sich auf der Autobahn A4 bei Kirchheim ein Verkehrsunfall, bei dem ein Fahrzeug auf der linken Spur liegen blieb. Trümmerteile verteilten sich auf allen Fahrstreifen. Drei Bundespolizisten, die sich auf dem Heimweg befanden, hielten an, um die Unfallstelle abzusichern. Dabei begaben sie sich auf den linken Seitenbereich der Fahrbahn, direkt neben der mittigen Betonschutzwand. Dort blieben sie etwa 30 Minuten lang stehen.
Zu diesem Zeitpunkt war der Verkehr auf den beiden rechten Spuren bereits wieder freigegeben. Ein Fahrer, der mit hoher Geschwindigkeit die linke Spur befuhr, kollidierte mit einem der Beamten frontal. Dieser wurde tödlich verletzt. Im Anschluss kam es zu weiteren Kollisionen mit den beiden anderen Beamten, die schwere Verletzungen erlitten. Der Fahrer wurde später wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung strafrechtlich verurteilt.
Die Klage: Bundesrepublik verlangt Schadensersatz
Die Bundesrepublik Deutschland machte als Dienstherr der betroffenen Beamten Ersatzansprüche gegen den Unfallverursacher, dessen Haftpflichtversicherung und den Fahrzeughalter geltend. Im Rahmen des sogenannten Forderungsübergangs forderte der Staat Schadensersatz in Höhe von knapp 350.000 Euro für bereits erbrachte Leistungen an Hinterbliebene und Verletzte.
Das Landgericht gab der Klage teilweise statt. Es erkannte die vollständige Haftung der Beklagten an, kürzte jedoch den Ersatzanspruch um einen Teilbetrag, den es nicht als übergangsfähig ansah. Die Beklagten gingen gegen dieses Urteil in Berufung.
Urteil des Oberlandesgerichts: Mitschuld der Beamten festgestellt
Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied, dass die Beklagten grundsätzlich für den Unfall haften, reduzierte die Haftungsquote jedoch auf zwei Drittel. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Bundespolizisten eine erhebliche Mitschuld an dem Unfallgeschehen trugen, weil sie sich zu lange und ungesichert auf der linken Fahrbahnseite aufhielten.
Das Gericht stellte fest, dass das Betreten einer Autobahn für Fußgänger grundsätzlich verboten sei und nur in besonderen Ausnahmesituationen unter größtmöglicher Vorsicht erfolgen dürfe. Hier hätten die Beamten sich über einen Zeitraum von rund 30 Minuten in einem nur etwa 70 Zentimeter breiten Zwischenraum zwischen dem linken Fahrbahnrand und der Betonschutzwand aufgehalten – eine besonders gefährliche Position auf einer vielbefahrenen Autobahn.
Sorgfaltspflichten auch für Einsatzkräfte
Die Richter betonten, dass sich auch Polizeibeamte an die allgemeinen Verkehrsregeln halten müssen, wenn sie sich außerhalb ihrer Fahrzeuge auf einer Autobahn bewegen. Eine dauerhafte Positionierung im unmittelbaren Gefahrenbereich sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie zwingend erforderlich sei und mit größter Sorgfalt abgesichert werde.
Im konkreten Fall sei dies nicht gegeben gewesen. Die Beamten hätten den herannahenden Verkehr nicht ausreichend beobachtet und es versäumt, sich rechtzeitig hinter der Betonschutzwand in Sicherheit zu bringen. Das OLG stellte fest, dass die linke Fahrspur über mehrere hundert Meter frei gewesen sei und gute Sichtverhältnisse herrschten. Daher wäre es den Beamten bei entsprechender Aufmerksamkeit möglich gewesen, dem herannahenden Fahrzeug rechtzeitig auszuweichen oder sich hinter der Schutzwand in Sicherheit zu bringen.
Verteilung der Haftung: Zwei Drittel beim Fahrer, ein Drittel bei den Beamten
Das Oberlandesgericht nahm eine Abwägung der Verursachungsbeiträge vor. Es bewertete die Verantwortung des Fahrers als deutlich höher, erkannte aber auch einen nicht unerheblichen Beitrag der Beamten zum Unfallgeschehen. Daraus ergab sich eine Haftungsverteilung von zwei Dritteln aufseiten der Beklagten und einem Drittel aufseiten der Bundesrepublik Deutschland als Dienstherrin der verunglückten Beamten.
Diese rechtliche Einordnung hat nicht nur Auswirkungen auf die Höhe des Schadensersatzes, sondern auch auf die zukünftige Ausgestaltung der Verkehrssicherungspflichten bei Polizeieinsätzen auf Autobahnen.
Konsequenzen für die Praxis: Sicherheit hat Vorrang
Das Urteil zeigt deutlich, dass auch Einsatzkräfte wie Bundespolizisten bei Einsätzen auf der Autobahn streng auf ihre eigene Sicherheit achten müssen. Die rechtliche Sonderstellung im Straßenverkehr bedeutet nicht, dass sie von allgemeinen Verhaltenspflichten entbunden sind. Wer sich zu Fuß auf einer Autobahn bewegt, muss dies so kurz und so sicher wie möglich tun.
Die Entscheidung dürfte daher auch Auswirkungen auf Schulungen und Einsatzkonzepte von Polizei und Rettungskräften haben. Der Aufenthalt auf Fahrbahnen sollte auf das absolute Minimum reduziert und nach Möglichkeit durch technische Absicherung ergänzt werden. Eine Beobachtung des Verkehrs und die ständige Bereitschaft, sich in Sicherheit zu bringen, sind unerlässlich.
Fazit: Mitschuld bei Eigengefährdung im Einsatz
Mit seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 hat das Oberlandesgericht Frankfurt klargestellt, dass selbst bei polizeilichem Handeln auf der Autobahn eine Mitschuld angenommen werden kann, wenn grundlegende Sorgfaltspflichten verletzt werden. Auch wenn die Verantwortung des Fahrers als Hauptverursacher überwiegt, können sich Einsatzkräfte nicht vollständig auf ihre Sonderstellung verlassen.
Die Entscheidung trägt dazu bei, die Abgrenzung von Haftung und Eigenverantwortung im Straßenverkehr klarer zu definieren und wird vermutlich auch zukünftige gerichtliche Auseinandersetzungen im Verkehrsrecht beeinflussen.
Quelle(n): OLG Frankfurt am Main, Teil-Grundurteil und Teil-Endurteil vom 5. Dezember 2024, Az. 15 U 104/22 Bild von Tim Freitag auf Pixabay