Artikel vom 29.10.2025

Freispruch nach Gesetzesänderung – Neue Cannabis-Regeln bewahren vor Fahrverbot

Der Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat einen 40-jährigen Autofahrer aus dem Landkreis Leer vom Vorwurf des Fahrens unter Cannabiseinfluss freigesprochen. Entscheidend war eine neue Regelung im Straßenverkehrsgesetz, die den THC-Grenzwert für Fahrer deutlich angehoben hat. Der Fall zeigt, wie stark Gesetzesänderungen im Verkehrsrecht laufende Verfahren beeinflussen können.

Fahrt unter Cannabiseinfluss und Bußgeldbescheid

Der Betroffene war ursprünglich vom Landkreis Emsland zu einer Geldbuße von 1.000 Euro und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Das Amtsgericht Papenburg sah es als erwiesen an, dass der Mann mit einem THC-Wert von 1,3 Nanogramm pro Milliliter Blut ein Kraftfahrzeug geführt hatte – und damit den damals geltenden Grenzwert von 1,0 ng/ml überschritten hatte. Grundlage der Entscheidung war § 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), der das Fahren unter Drogeneinfluss als Ordnungswidrigkeit ahndet.

Der Betroffene legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein. Über diese Beschwerde entschied der Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 29. August 2024.

Neue Rechtslage: Anhebung des THC-Grenzwerts

Zwischen der Entscheidung des Amtsgerichts und dem Urteil des Oberlandesgerichts trat eine entscheidende Gesetzesänderung in Kraft. Im Zuge der Cannabis-Legalisierung wurde der Grenzwert für Fahrten unter Cannabiseinfluss am 22. August 2024 von 1,0 ng/ml auf 3,5 ng/ml THC im Blut angehoben (§ 24a Absatz 1a StVG).

Diese Änderung beruht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und rechtspolitischen Erwägungen: Ein niedriger THC-Wert im Blut bedeutet nicht zwangsläufig eine relevante Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Während frühere Grenzwerte vor allem auf Null-Toleranz-Überlegungen beruhten, soll der neue Schwellenwert nur noch tatsächlich beeinträchtigtes Fahrverhalten sanktionieren.

Rückwirkung zugunsten des Betroffenen

Nach § 4 Absatz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gilt: Wenn sich das Gesetz nach der Tat zugunsten des Betroffenen ändert, ist das mildere Gesetz anzuwenden. Genau dieser Grundsatz kam im vorliegenden Fall zum Tragen.

Der THC-Wert des Betroffenen lag mit 1,3 ng/ml zwar über dem alten Grenzwert, jedoch deutlich unterhalb der neuen gesetzlichen Schwelle von 3,5 ng/ml. Damit entfiel der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit. Das Oberlandesgericht Oldenburg hob das Urteil des Amtsgerichts Papenburg auf und sprach den Mann frei.

Bedeutung für das Verkehrsrecht

Die Entscheidung hat Signalwirkung für viele laufende und zukünftige Verfahren. Durch die Anhebung des THC-Grenzwerts werden zahlreiche ältere Bußgeldbescheide und Verurteilungen überprüfungsrelevant.

Für das Verkehrsrecht bedeutet die Gesetzesänderung eine deutliche Neubewertung der Gefährdungslage durch Cannabiskonsum. Während bislang bereits minimale THC-Spuren zu Fahrverboten führen konnten, wird nun stärker auf eine tatsächliche Fahruntüchtigkeit abgestellt. Dies entspricht der Logik des § 24a StVG, der die Verkehrssicherheit schützen soll, aber keine übermäßigen Sanktionen bei fehlender Gefährdung vorsieht.

Wissenschaftlicher Hintergrund der Neuregelung

Die Grenzwertkommission beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hatte im Jahr 2024 empfohlen, den THC-Grenzwert im Blutserum auf 3,5 ng/ml anzuheben. Grundlage waren medizinische und psychologische Untersuchungen, die zeigten, dass eine signifikante Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit in der Regel erst ab diesem Wert anzunehmen ist.

Zudem wird beim Cannabiskonsum zwischen akutem Rausch und Rest-THC im Blut unterschieden. Da der Abbau von THC sehr langsam verläuft, kann ein Konsument noch Tage nach dem letzten Konsum geringe Mengen im Blut aufweisen – ohne unter dem Einfluss zu stehen. Die neue Gesetzeslage berücksichtigt diesen Umstand und soll verhindern, dass verantwortungsbewusste Fahrer unverhältnismäßig bestraft werden.

Rechtliche Bewertung und praktische Auswirkungen

Der Freispruch zeigt exemplarisch, wie sich Änderungen im Verkehrsrecht direkt auf bestehende Verfahren auswirken können. Das sogenannte Rückwirkungsverbot gilt nur für strafverschärfende Gesetze. Wird ein Gesetz hingegen zugunsten des Bürgers geändert, darf es auch auf Altfälle angewendet werden.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg schafft Klarheit: Fahrer, deren THC-Wert unter 3,5 ng/ml liegt, können nicht mehr wegen Fahrens unter Cannabiseinfluss belangt werden, sofern keine zusätzlichen Anzeichen für Fahruntüchtigkeit – etwa Schlangenlinien oder Reaktionsverzögerungen – vorliegen.

Für laufende Verfahren bedeutet das:

  • Bußgeldbescheide wegen THC-Werten unter 3,5 ng/ml müssen aufgehoben oder eingestellt werden.

  • Bereits verhängte Fahrverbote können unter Umständen rückwirkend entfallen.

  • Auch rechtskräftige Urteile können über Wiederaufnahmeverfahren überprüft werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen.


Quelle(n): Freispruch nach Gesetzesänderung – Neue Cannabis-Regeln bewahren vor Fahrverbot https://oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/freispruch-nach-gesetzesanderung-neue-cannabis-regeln-bewahren-vor-fahrverbot-235488.html


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