Artikel vom 23.06.2025
Haftung beim Tanken: Kein Schaden beim Betrieb des Fahrzeugs bei Stichflamme aus Benzinkanister

OLG Dresden entscheidet zur Haftung bei Brand durch statische Entladung vor dem Tanken
Ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden bringt Klarheit bei der Frage, wann ein Schaden rechtlich als beim Betrieb eines Fahrzeugs gilt. Im konkreten Fall entzündete sich ein Kanister beim geplanten Tanken eines Autos. Die Richter entschieden: Eine Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz liegt nicht vor, da die Ursache nicht im Betrieb des Fahrzeugs lag. Für Versicherer und Fahrzeughalter ist dieses Urteil wegweisend, da es die Grenzen der Betriebsgefahr deutlich definiert.
Der Fall: Brand in Tiefgarage beim Versuch, ein Auto mit Kanister zu betanken
Am 26. Juli 2017 wollte ein Mann in einer Leipziger Tiefgarage sein Auto betanken. Dazu benutzte er einen mit Benzin gefüllten Plastikkanister. Nachdem er den Tankdeckel des Fahrzeugs geöffnet hatte, entzündete sich der Kanister durch eine Stichflamme. Die Flammen verursachten erhebliche Schäden an der Tiefgarage, vor allem durch Ruß. Das Fahrzeug selbst blieb unversehrt, da der Mann den brennenden Kanister rechtzeitig vom Auto entfernen konnte.
Die Gebäudeversicherung des Tiefgaragenbetreibers wollte den Schaden ersetzt bekommen und klagte gegen die Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters. Sie berief sich auf Paragraf 7 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes, wonach Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen, durch den Halter zu ersetzen sind. Das Landgericht gab der Klage zunächst statt. Die Beklagten legten Berufung ein.
Streitpunkt: Lag der Schaden im Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs
Die zentrale Frage war, ob der Schaden als beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden gelten kann. Die Klägerin argumentierte, dass das Betanken eines Autos ein typischer Betriebsvorgang sei und der Brand somit in einem rechtlich relevanten Zusammenhang mit dem Fahrzeug stehe. Die Beklagten hielten dagegen, dass der Brand noch vor Beginn des eigentlichen Tankvorgangs durch eine statische Aufladung des Kanisters entstanden sei. Das Fahrzeug habe keine Rolle bei der Entstehung gespielt.
Entscheidung des Landgerichts: Haftung bejaht
Das Landgericht folgte zunächst der Sichtweise der Klägerin. Es sah in dem geplanten Tanken einen ausreichenden Bezug zum Betrieb des Fahrzeugs. Das Gericht wertete den gesamten Vorgang – einschließlich der Vorbereitung zum Tanken – als Teil des Fahrzeugbetriebs. Ein Sachverständiger war gehört worden, doch die Zündursache wurde nicht abschließend geklärt. Das reichte dem Gericht aus, um eine Haftung des Fahrzeughalters festzustellen.
Entscheidung des Oberlandesgerichts: Keine Haftung nach StVG
Das Oberlandesgericht Dresden sah den Fall grundlegend anders. Es hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab. Das Gericht stellte klar, dass ein Schaden nur dann als beim Betrieb eines Fahrzeugs entstanden gilt, wenn sich eine vom Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr verwirklicht hat. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Das Fahrzeug selbst habe keine Ursache für die Entzündung des Kanisters gesetzt. Es sei auch nicht beschädigt worden. Es habe sich also keine dem Fahrzeug innewohnende Gefahr realisiert.
Zwar sei das Tanken grundsätzlich ein Betriebsvorgang und der Tank ein relevanter Betriebsteil. Doch in diesem Fall sei mit dem eigentlichen Betanken noch nicht begonnen worden. Der Benzinfluss in den Tank hatte noch nicht eingesetzt. Damit habe sich auch keine spezifische Gefahr aus dem Fahrzeug oder dessen Tank verwirklicht.
Außerdem habe die Klägerin in beiden Instanzen nicht widersprochen, dass der Kanister sich eigenständig durch statische Elektrizität entzündet habe. Auch das sei plausibel, zumal das Fahrzeug nicht betroffen war. Aus Sicht des OLG lag die Ursache des Brandes allein außerhalb des Fahrzeugs.
Die Bedeutung der Entscheidung für Versicherer und Fahrzeughalter
Nach Paragraf 7 Absatz 1 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs für Schäden, die beim Betrieb des Fahrzeugs entstehen – unabhängig von Verschulden. Dieser weit gefasste Begriff umfasst laut Rechtsprechung auch Vorgänge wie Ein- und Aussteigen oder Be- und Entladen. Auch das Tanken gehört grundsätzlich dazu. Entscheidend ist jedoch, dass sich bei dem Schaden eine typische, vom Fahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht hat. Diese Voraussetzung war in diesem Fall nicht erfüllt.
Das Urteil stellt klar, dass ein bloßer räumlicher oder zeitlicher Zusammenhang mit dem Fahrzeug nicht ausreicht. Der Schaden muss durch das Fahrzeug verursacht oder mitverursacht worden sein. Eine externe Ursache, wie hier die spontane Entzündung eines Kanisters, fällt nicht unter den Schutzbereich der Vorschrift.
Für Gebäudeversicherungen bedeutet das Urteil, dass sie nicht automatisch auf die Haftpflichtversicherung eines Fahrzeughalters zurückgreifen können, wenn ein Schaden im Umfeld eines Fahrzeugs entsteht. Es ist erforderlich, dass das Fahrzeug selbst zur Schadensentstehung beigetragen hat. Auch für Halter ist die Entscheidung wichtig, da sie die Haftung begrenzt.
Keine Haftung ohne Verwirklichung der Fahrzeuggefahr
Das Urteil des OLG Dresden zieht eine klare Grenze für die Anwendung von Paragraf 7 StVG. Ein Schaden gilt nur dann als beim Betrieb eines Fahrzeugs entstanden, wenn das Fahrzeug selbst oder ein betriebsbedingter Vorgang ursächlich ist. Im besprochenen Fall war das nicht gegeben. Der Brand wurde durch eine externe Ursache ausgelöst, bevor das Fahrzeug betankt wurde. Es bestand kein funktionaler Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs.
Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit im Bereich der Halterhaftung. Sie schützt Fahrzeughalter vor einer übermäßigen Ausweitung der Haftung auf Situationen, in denen keine typische Fahrzeuggefahr besteht. Gleichzeitig zeigt sie Versicherern, dass eine genaue Prüfung der Ursache notwendig ist, bevor sie Haftungsansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz geltend machen.
Rechtlicher Kontext und praktische Relevanz
Für die Praxis bedeutet dieses Urteil: Wer in der Nähe eines Fahrzeugs einen Schaden verursacht, etwa bei der Vorbereitung eines Tankvorgangs, haftet nicht automatisch nach dem StVG. Maßgeblich ist, ob das Fahrzeug oder ein betriebsbedingter Bestandteil an der Entstehung des Schadens beteiligt war. Wenn sich wie hier eine Gefahr aus einem Kanister realisiert, der unabhängig vom Fahrzeug genutzt wurde, liegt kein Fall der Fahrzeughalterhaftung vor.
Der Fall verdeutlicht, dass auch alltägliche Vorgänge wie das Tanken rechtlich komplexe Folgen haben können. Besonders wichtig ist eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und eine sorgfältige Prüfung der technischen Ursachen von Unfällen oder Bränden in Fahrzeugnähe.
Quelle(n): OLG Dresden, Urteil vom 1. Oktober 2024, Az. 4 U 446/24 Bild von FROET auf Pixabay