Artikel vom 29.10.2025

Kaufvertrag und Lieferverzug: Wann besteht ein Recht auf Rücktritt bei Produktionsverzögerung?

In Zeiten globaler Lieferengpässe sind Verzögerungen bei der Auslieferung von Neufahrzeugen keine Seltenheit. Viele Autokäufer stehen dann vor der Frage, ob sie trotz der Hinweise auf mögliche Wartezeiten vom Kaufvertrag zurücktreten dürfen, wenn der Händler nicht liefern kann. Das Amtsgericht musste sich im vorliegenden Fall mit genau dieser Situation befassen: Ein Käufer hatte einen Neuwagen bestellt, doch die Produktion verzögerte sich erheblich. Als die Lieferung auch nach über einem Jahr noch nicht erfolgt war, erklärte der Käufer den Rücktritt. Der Händler verlangte daraufhin Stornogebühren – zu Unrecht, wie das Gericht entschied.

Der zugrunde liegende Fall

Der Kläger hatte im Juli 2022 als Verbraucher einen Neuwagen zu einem Kaufpreis von rund 20.700 Euro erworben. Der Händler konnte allerdings keinen konkreten Liefertermin nennen, da der Fahrzeughersteller aufgrund von Lieferkettenstörungen keine verbindlichen Zusagen machte. Im Kaufvertrag und in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) war ausdrücklich festgehalten, dass alle Bestellungen „ohne Liefertermin und unverbindlich vorbehaltlich einer Produktion“ bestätigt würden. Der Käufer erkundigte sich regelmäßig nach dem Lieferstatus, erhielt aber über Monate hinweg keine verbindliche Auskunft.

Im Juni 2023 setzte er dem Händler schließlich eine Frist zur Lieferung bis Anfang Juli 2023. Nachdem diese Frist verstrichen war, erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag. Der Händler forderte daraufhin eine „Stornogebühr“ in Höhe von 3.113,98 Euro – also 15 Prozent des Kaufpreises. Die Begründung: Der Käufer habe den Vertrag unberechtigt aufgelöst.

Streitpunkt: Rücktrittsrecht trotz unklarer Lieferzeit

Das Gericht stellte klar, dass der Käufer gemäß §§ 323, 433 BGB berechtigt war, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Maßgeblich sei, dass die Verkäuferin ihre Leistung – die Übergabe des Neufahrzeugs – nicht erbracht habe. Eine konkrete Lieferzeit war nicht vereinbart worden, weshalb nach § 271 Abs. 1 BGB grundsätzlich sofortige Fälligkeit besteht. Wenn also keine verbindliche Frist im Vertrag steht, kann der Käufer die Leistung grundsätzlich sofort verlangen.

Zwar hatte die Verkäuferin darauf hingewiesen, dass Lieferzeiten von über einem Jahr möglich seien, jedoch handelte es sich hierbei um eine allgemeine Information, die keine rechtsverbindliche Lieferfrist begründete. Entscheidend war zudem, dass die entsprechende AGB-Klausel zu den Lieferzeiten nach Auffassung des Gerichts gegen § 308 Nr. 1 BGB verstößt. Diese Vorschrift untersagt es, Kunden unangemessen lange oder unbestimmte Leistungsfristen aufzuerlegen. Eine Formulierung, die keinerlei verbindliche Zeitrahmen vorsieht, ist daher unwirksam.

Fälligkeit und Fristsetzung im Kaufrecht

Die Rechtslage nach § 271 Abs. 1 BGB ist eindeutig: Wenn weder ein fester Liefertermin vereinbart noch aus den Umständen ersichtlich ist, gilt die Leistung als sofort fällig. Der Käufer kann also die Lieferung unmittelbar verlangen und, falls diese ausbleibt, eine angemessene Nachfrist setzen.

Im vorliegenden Fall hatte der Käufer der Beklagten eine Frist von etwa zwei Wochen gesetzt. Das Gericht wertete dies als zulässig. Selbst wenn man von einer zu kurzen Frist ausgehen würde, beginnt nach der Rechtsprechung automatisch eine angemessene Frist zu laufen. Da die Lieferung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – rund 18 Monate nach Vertragsschluss – noch nicht erfolgt war, hatte die Verkäuferin ihre Verpflichtung auch deutlich nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht erfüllt.

AGB-Klauseln und deren Wirksamkeit

Die Klausel in den AGB der Beklagten, wonach alle Bestellungen „unverbindlich vorbehaltlich einer Produktion“ bestätigt würden, wurde vom Gericht als unwirksam eingestuft. Nach § 308 Nr. 1 BGB dürfen Unternehmer keine unklaren oder unangemessen langen Lieferfristen festlegen. Eine Klausel, die den Lieferzeitpunkt vollständig offen lässt, benachteiligt den Käufer erheblich, da dieser über unbestimmte Zeit an den Vertrag gebunden bleibt, ohne Gewissheit über den Erhalt der Ware zu haben.

Darüber hinaus war im Vertrag keine konkrete Frist für die Annahme oder Ablehnung eines Angebots enthalten. Die Beklagte hätte daher innerhalb eines angemessenen Zeitraums liefern müssen.

Berechtigung des Rücktritts nach § 323 BGB

Gemäß § 323 Abs. 1 BGB darf der Käufer vom Vertrag zurücktreten, wenn der Verkäufer eine fällige Leistung nicht innerhalb einer gesetzten Frist erbringt. Voraussetzung ist, dass die Nichtleistung erheblich ist – was bei der Nichterfüllung eines Fahrzeugkaufvertrags zweifellos der Fall ist. Die Lieferung des gekauften Autos ist der zentrale Bestandteil des Vertrags, sodass die Pflichtverletzung als erheblich anzusehen war.

Da die Beklagte trotz mehrfacher Nachfrage und Fristsetzung nicht geliefert hatte und die Produktion des Fahrzeugs noch nicht einmal begonnen war, lag ein klarer Fall von Nichtleistung vor.

Kein Anspruch auf Stornogebühren oder Schadensersatz

Das Gericht stellte außerdem fest, dass der Händler keinen Anspruch auf Stornogebühren oder pauschalierten Schadensersatz hat. Zwar enthielten die AGB eine Klausel, wonach bei Nichtabnahme des Fahrzeugs 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz zu zahlen seien. Diese Regelung griff hier jedoch nicht, da der Käufer die Lieferung gar nicht verweigert hatte – das Fahrzeug existierte schlichtweg noch nicht.

Zudem fehlte es an einem Verschulden des Käufers. Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wird zwar grundsätzlich ein Verschulden vermutet, diese Vermutung war hier jedoch widerlegt. Dem Kläger konnte nicht vorgeworfen werden, dass er ein Fahrzeug nicht abnahm, das noch nicht produziert war. Folglich lag weder eine Pflichtverletzung noch ein Schaden der Verkäuferin vor.

Bedeutung der Entscheidung für Verbraucher und Händler

Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für den Verbraucherschutz im Kaufrecht. Es stellt klar, dass Händler sich nicht hinter allgemeinen Lieferhinweisen oder unbestimmten AGB-Klauseln verstecken können. Wenn ein Kaufvertrag geschlossen ist, bleibt der Verkäufer grundsätzlich verpflichtet, die Leistung innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erbringen. Wird nicht geliefert, kann der Käufer nach Ablauf einer Frist zurücktreten – auch dann, wenn die Verzögerung auf Produktionsproblemen des Herstellers beruht.

Für Verbraucher bedeutet dies, dass sie trotz unklarer Lieferzusagen rechtlich abgesichert sind. Sie dürfen nicht unbegrenzt an einen Vertrag gebunden werden, wenn die Lieferung auf unbestimmte Zeit verschoben wird.

Für Händler hingegen zeigt das Urteil, dass transparente und rechtssichere AGB entscheidend sind. Wer zu vage Lieferklauseln verwendet, riskiert nicht nur die Unwirksamkeit dieser Bestimmungen, sondern auch den Verlust möglicher Ansprüche auf Stornogebühren oder Schadensersatz.

Rechtliche Einordnung und praktische Konsequenzen

Das Urteil knüpft an die gefestigte Rechtsprechung zu Lieferverzug und Rücktritt im Kaufrecht an. Nach § 271 BGB tritt grundsätzlich sofortige Fälligkeit ein, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Wird ein fester Liefertermin nicht genannt, kann der Käufer eine angemessene Frist setzen und nach deren Ablauf vom Vertrag zurücktreten.

Zudem zeigt der Fall, dass Produktionsverzögerungen, selbst wenn sie auf äußere Umstände wie Lieferkettenprobleme zurückzuführen sind, das Rücktrittsrecht des Käufers nicht automatisch ausschließen. Der Verkäufer trägt grundsätzlich das Beschaffungsrisiko, solange nichts anderes ausdrücklich vereinbart wurde.

Abschließend lässt sich festhalten: Wer einen Kaufvertrag über ein Neufahrzeug abschließt, hat auch in Krisenzeiten Anspruch auf Rechtssicherheit. Wenn der Händler nicht liefern kann und keine verbindlichen Fristen nennt, darf der Käufer nach angemessener Zeit zurücktreten – ohne finanzielle Nachteile.


Quelle(n): https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE240000792 Bild von aymane jdidi auf Pixabay


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