Artikel vom 22.09.2024

Polizist haftet für Schäden am Polizeifahrzeug nach Unfall bei Einsatzfahrt: Verwaltungsgericht Berlin entscheidet

Wenn ein Polizeibeamter bei einer Einsatzfahrt einen Unfall verursacht, kann er für den entstandenen Schaden zur Verantwortung gezogen werden. Besonders dann, wenn überhöhte Geschwindigkeit in einer unübersichtlichen Verkehrslage eine Rolle spielt. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem aktuellen Urteil bestätigt. Der Fall eines Berliner Polizeikommissars, der während einer Einsatzfahrt einen Unfall verursachte, wirft grundlegende Fragen zu den Sorgfaltspflichten von Polizeibeamten auf.

Der Unfallhergang: Einsatzfahrt mit tragischen Folgen

Im November 2017 wurde ein Polizeikommissar des Landes Berlin zu einem Einsatz in Berlin-Lübars gerufen, nachdem ein „gegenwärtig stattfindender Einbruch“ gemeldet worden war. Die Dringlichkeit des Einsatzes veranlasste den Beamten dazu, mit dem Dienstfahrzeug hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. Dies führte zu einer Kollision mit einem anderen Pkw, bei der erheblicher Schaden entstand.

Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte der Polizeiwagen kurz zuvor eine Geschwindigkeit von 92 km/h erreicht, obwohl die Verkehrssituation unübersichtlich war. Trotz einer sofortigen Bremsung ließ sich die Kollision mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h nicht mehr verhindern. Der Unfall führte nicht nur zu erheblichen Sachschäden, sondern auch zu einer rechtlichen Auseinandersetzung über die Frage, ob der Beamte für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden könne.

Regressforderung des Polizeipräsidenten: Grobe Fahrlässigkeit oder einfache Fahrlässigkeit?

Im Oktober 2020 zog der Polizeipräsident den Kläger, den betroffenen Polizeikommissar, zur Verantwortung. Ihm wurde vorgeworfen, grob fahrlässig gegen seine dienstlichen Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben, indem er das Polizeifahrzeug mit unangemessener Geschwindigkeit in einer unübersichtlichen Verkehrssituation geführt habe. Der Kläger wurde daher zum Ersatz von 50 Prozent des entstandenen Schadens am Einsatzfahrzeug verpflichtet. Dieser Anteil belief sich auf 4.225,59 Euro. Dabei wurde auch das Mitverschulden des anderen Unfallbeteiligten berücksichtigt.

Der Polizeikommissar legte jedoch Klage gegen diese Entscheidung ein. Er argumentierte, dass ihm nur einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, da die Dringlichkeit des Einsatzes besondere Eile erfordert habe. Der Polizeibeamte betonte, dass ohne schnelles Handeln die Möglichkeit bestanden habe, dass die Einbrecher am Tatort nicht mehr hätten gestellt werden können.

Gerichtsurteil: Verletzung der Sorgfaltspflichten trotz Sonderrechten

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin wies die Klage des Polizeikommissars ab. In ihrer Entscheidung stellten die Richter fest, dass der Kläger grob fahrlässig gegen seine Pflichten aus der Straßenverkehrsordnung verstoßen habe. Auch wenn Polizisten in bestimmten Einsatzsituationen Sonderrechte in Anspruch nehmen können (§ 35 StVO), gelte dennoch, dass die Verkehrsvorschriften nur insoweit missachtet werden dürfen, wie dies im Verhältnis zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angemessen ist.

Das Gericht betonte, dass die konkrete Verkehrssituation eine größere Vorsicht seitens des Polizeibeamten erfordert hätte. Die unübersichtliche Lage am Unfallort hätte eine deutlich niedrigere Geschwindigkeit gerechtfertigt. Zudem sei der Zweck des Einsatzes, nämlich ein Einbruch, der keine akute Gefährdung von Personen darstellte, kein ausreichender Grund, um das Risiko für andere Verkehrsteilnehmer derart zu erhöhen.

Verhältnismäßigkeit bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten

Ein zentrales Element des Urteils war die Frage der Verhältnismäßigkeit bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten durch Polizeibeamte. Nach § 35 StVO sind Polizeifahrzeuge in bestimmten Situationen von den Regeln der Straßenverkehrsordnung befreit, insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten oder der Gefahrenabwehr. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Sonderrechte uneingeschränkt gelten.

Das Gericht stellte klar, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer immer im Verhältnis zur Dringlichkeit des Einsatzes stehen müsse. In diesem Fall war die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer unverhältnismäßig hoch im Vergleich zum Einsatzzweck, da es sich „nur“ um einen Einbruch handelte, bei dem keine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von Personen bestand.

Bedeutung des Urteils für die Praxis von Polizeieinsätzen

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin hat weitreichende Implikationen für die tägliche Praxis von Polizeieinsätzen. Es zeigt, dass auch bei dringenden Einsätzen, bei denen Sonderrechte in Anspruch genommen werden, die Sorgfaltspflichten nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Polizeibeamte sind angehalten, immer eine angemessene Abwägung zwischen der Dringlichkeit des Einsatzes und der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer zu treffen.

Für Polizeibeamte bedeutet dies in der Praxis, dass sie auch in Notsituationen nicht ungeachtet der Verkehrssituation mit überhöhter Geschwindigkeit fahren dürfen. Die Sicherheit der Allgemeinheit muss stets oberste Priorität haben, und grobe Fahrlässigkeit kann zu rechtlichen Konsequenzen führen, wie das vorliegende Urteil zeigt.

Rechtsfolgen und weitere Schritte im Verfahren

Der betroffene Polizeikommissar hat die Möglichkeit, gegen das Urteil der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einzulegen. Sollte die Berufung zugelassen werden, könnte das Urteil noch einmal auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden. Ob der Kläger diesen Schritt gehen wird, bleibt abzuwarten.

Das Urteil (VG 5 K 65/21) vom 18. März 2024 verdeutlicht jedoch schon jetzt die hohen Anforderungen, die an Polizeibeamte gestellt werden, wenn es um die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung während eines Einsatzes geht. Insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer müssen auch bei hohem Zeitdruck im Blick behalten werden.

Sicherheit steht über Dringlichkeit

Zusammenfassend zeigt der Fall, dass die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer stets im Vordergrund stehen muss, auch bei polizeilichen Einsatzfahrten mit Sonderrechten. Überhöhte Geschwindigkeit in unübersichtlichen Verkehrssituationen kann schwerwiegende Folgen haben, sowohl in Bezug auf die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer als auch auf die rechtliche Verantwortung des handelnden Polizeibeamten. Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin setzt ein klares Signal: Die Pflicht zur Vorsicht im Straßenverkehr gilt auch unter Zeitdruck und im Einsatz – Sicherheit geht vor.


Quelle(n): https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1450162.php Bild von manyPictures auf Pixabay


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