Artikel vom 19.02.2025
Reformen des Verkehrsgerichtstags 2025: Hinterbliebenengeld und Schockschaden
Das 2017 eingeführte Hinterbliebenengeld soll nahen Angehörigen eines tödlich verletzten Unfallopfers eine finanzielle Entschädigung für das seelische Leid gewähren. Bis dahin konnte ein Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn ein sogenannter Schockschaden nachgewiesen wurde, der eine psychische Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert darstellte.
Der Arbeitskreis untersucht acht Jahre nach der Einführung, ob sich das Hinterbliebenengeld in der Regulierungspraxis bewährt hat oder ob Anpassungen erforderlich sind. Dabei werden Fragen zur Höhe des Anspruchs, zur Anspruchsberechtigung und zum Verhältnis des Hinterbliebenengeldes zum Schockschadenersatz diskutiert. Zudem wird ein Blick auf internationale Regelungen geworfen, um Vergleiche zu ziehen.
Hinterbliebenengeld – eine Bilanz nach sechs Jahren
Das im Juli 2017 eingeführte Gesetz ist mittlerweile in der Praxis etabliert. Der Bundesgerichtshof hat in Urteilen aus den Jahren 2022 und 2023 die wesentlichen Elemente des § 844 Abs. 3 BGB konkretisiert. Das Hinterbliebenengeld gilt als Sonderform des Immaterialschadensersatzes für psychische Beeinträchtigungen nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen, die unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung bleiben.
Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes orientiert sich an zwei Faktoren: der Intensität der Beeinträchtigung der geschädigten Person und dem Verschulden des Schädigers. Die Praxis nimmt häufig Bezug auf den ursprünglich in der Gesetzesbegründung genannten Betrag von 10.000 Euro, der inflationsbedingt inzwischen bei über 12.000 Euro liegt.
Zwischen dem Hinterbliebenengeld und dem Schmerzensgeld für einen Schockschaden besteht eine enge Verbindung. Der Bundesgerichtshof hat die Voraussetzungen für den Schockschadenersatz gelockert. Es genügt nun, dass die Tötung eines Angehörigen zu psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert geführt hat, selbst wenn diese nicht über den normalen Trauerschmerz hinausgehen. In diesen Fällen konsumiert der Anspruch auf Schmerzensgeld den Anspruch auf Hinterbliebenengeld.
Die Dogmatik des Schmerzensgeldes wirft jedoch Probleme auf. Die Funktion der Genugtuung ist schwer zu rechtfertigen, insbesondere wenn der Anspruch auch ohne Verschulden gewährt wird. Um eine einheitliche Bemessung zu ermöglichen, schlagen Experten eine Objektivierung der Beträge vor. Die Berechnung sollte in zwei Schritten erfolgen: Zunächst eine Grundentschädigung in Höhe von etwa 12.000 Euro, ergänzt durch einen möglichen Zuschlag bei vorsätzlichem oder besonders rücksichtslosem Verhalten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten sollten keine Rolle spielen.
Hinterbliebenengeld und Schockschaden bei der Regulierung von Verkehrsunfällen
Mit der Einführung des Hinterbliebenengeldes hat der Gesetzgeber 2017 eine neue Anspruchsgrundlage geschaffen. Wird eine Person durch einen Verkehrsunfall, einen ärztlichen Behandlungsfehler oder eine Straftat getötet, erhalten die Hinterbliebenen eine finanzielle Entschädigung für ihr seelisches Leid.
Vor 2017 konnten Hinterbliebene nur in Ausnahmefällen Schmerzensgeld verlangen, nämlich wenn sie durch die Nachricht vom Tod oder das direkte Miterleben des Todes psychisch so stark belastet wurden, dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung eintrat. Dieser Anspruch, als Schockschaden bekannt, wurde durch die Rechtsprechung entwickelt, war jedoch nicht gesetzlich geregelt.
Die Einführung des Hinterbliebenengeldes stellte Richter, Anwälte und Versicherer vor neue Herausforderungen. Der Gesetzestext wurde bewusst offen formuliert und legt weder den Kreis der Anspruchsberechtigten noch die genaue Höhe des Anspruchs verbindlich fest. Auch das Verhältnis zum weiterhin bestehenden Schockschadenersatz blieb zunächst unklar.
Eine Untersuchung von 340 tödlichen Verkehrsunfällen zwischen Juli 2017 und Januar 2024, bei denen insgesamt 462 Hinterbliebenengeldzahlungen geleistet wurden, zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Fälle (94 %) außergerichtlich geregelt werden konnte. Versicherer und Anwälte der Hinterbliebenen fanden pragmatische Lösungen, die eine schnelle Schadenregulierung ermöglichten.
Der Schockschaden bleibt auch nach der Einführung des Hinterbliebenengeldes eine Ausnahme und ist an strengere Voraussetzungen geknüpft. Im Gegenzug ermöglicht er jedoch höhere Entschädigungszahlungen. Trotz eines erhöhten Schadensaufwands für Versicherer und gestiegener Versicherungsprämien hat sich das Hinterbliebenengeld in der Regulierungspraxis bewährt.
Hinterbliebenengeld – Praktische Erfahrung und Konkurrenz zum Schockschaden
Das Hinterbliebenengeld bleibt in der Praxis ein wenig bekannter Anspruch. Dies liegt unter anderem daran, dass die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle seit den 1970er Jahren drastisch gesunken ist, wodurch es insgesamt zu weniger Streitfällen kommt. Zudem stellt das Hinterbliebenengeld ein im deutschen Schadenersatzrecht fremdes Element dar, da es sich um einen mittelbaren Schadensersatzanspruch handelt.
Mehrere Begriffe im Gesetz sind unbestimmt, darunter die Definition des anspruchsberechtigten Personenkreises, die Voraussetzungen eines notwendigen Näheverhältnisses und das seelische Leid als Schadensgrundlage. Die gesetzlich vermutete Nähebeziehung zwischen Ehepartnern und engen Verwandten kann in der Praxis zu fragwürdigen Ergebnissen führen. So profitieren etwa Ehepartner, die seit Jahrzehnten keine enge Beziehung mehr pflegen, während eng verbundene Geschwister ihr Näheverhältnis möglicherweise beweisen müssen. Bisher gibt es jedoch keine Fälle, in denen eine übermäßige Anzahl von Personen Ansprüche geltend gemacht hat. Dennoch ist es denkbar, dass künftig auch enge nicht-familiäre Bindungen Berücksichtigung finden.
Die Rechtsprechung hat bislang keine ausufernden Hinterbliebenengeldzahlungen zugesprochen. In der Regel liegen die Beträge um die 10.000 Euro. Bei detaillierter Darlegung des seelischen Leids und eines engen Näheverhältnisses können auch höhere Summen gewährt werden.
Kriterien, die das Alter des Verstorbenen oder dessen voraussichtliche Lebenserwartung einbeziehen, sind abzulehnen. Ebenso wenig sollten subjektive Einschätzungen darüber, wie stark ein Kind oder eine demenzkranke Person einen Verlust empfindet, in die Bewertung einfließen.
Die Absenkung der Anforderungen für einen Schockschaden durch den Bundesgerichtshof hat dazu geführt, dass sich Hinterbliebenengeld und Schockschaden stellenweise überlappen. In der Praxis sollte stets eine parallele Geltendmachung beider Ansprüche erfolgen, insbesondere wenn das für das Hinterbliebenengeld erforderliche seelische Leid gleichzeitig als medizinisch diagnostizierbare psychische Erkrankung gewertet werden kann.
Quelle(n): https://deutscher-verkehrsgerichtstag.de/media//Editoren/63.VGT/63.VGTKurzfassungAKIIIgesamt.pdf