Artikel vom 03.11.2024

Sicherstellung des Fahrzeugs bei rücksichtsloser Fahrweise: Wann darf die Polizei einschreiten?

Die Sicherstellung eines Fahrzeugs nach extremen Verkehrsverstößen ist ein eher seltenes, aber mögliches Mittel der Polizei in Deutschland, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Besonders rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, das andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringt, kann in bestimmten Fällen die sofortige Beschlagnahmung eines Fahrzeugs rechtfertigen. Jüngst hat das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt in einem Urteil die Rechtsgrundlage und Umstände für eine solche Maßnahme klargestellt.

Verkehrsverstoß in der Innenstadt: Mit 120 km/h durch die Stadt

Im Fall des VG Neustadt hatte ein Autofahrer im Stadtgebiet von Speyer gravierende Verkehrsverstöße begangen. Der Raser überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um das Doppelte, indem er mit etwa 120 km/h unterwegs war und dabei rücksichtslos mehrere Fahrzeuge überholte. Der Fahrer nutzte die Gegenfahrbahn, um an zwei vorausfahrenden Pkw vorbeizuziehen, und passierte mehrere Fußgängerüberwege und Einmündungen, ohne die Geschwindigkeit deutlich zu reduzieren. Erst beim Einbiegen in eine andere Straße wurde er von Zivilpolizisten gestoppt.

Widerspruch gegen die Sicherstellung des Fahrzeugs

Nach der anschließenden Verkehrskontrolle stellte die Polizei das Fahrzeug sicher, um eine Wiederholung der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu verhindern. Der Fahrzeugführer legte daraufhin Widerspruch gegen die Sicherstellung ein und forderte die sofortige Herausgabe seines Fahrzeugs. Da der Widerspruch jedoch keine aufschiebende Wirkung hatte, stellte er beim Verwaltungsgericht Neustadt einen Antrag, um die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen und sein Fahrzeug zurückzubekommen. Das VG Neustadt lehnte diesen Antrag allerdings ab und bestätigte die Sicherstellung des Fahrzeugs.

Sicherstellung als Präventivmaßnahme zur Gefahrenabwehr

Das Verwaltungsgericht Neustadt sah die Sicherstellung des Fahrzeugs als angemessene präventive Maßnahme zur Gefahrenabwehr an. In seiner Begründung betonte das Gericht, dass die Entscheidung auf den extremen Verkehrsverstößen des Fahrers beruhe, die auf eine grobe Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern schließen lasse. Die hohe Geschwindigkeit und das risikoreiche Fahrverhalten hätten eine akute Gefährdung für Leib und Leben anderer bedeutet, sodass eine unmittelbare Handlung der Polizei erforderlich gewesen sei.

Keine Einsicht des Fahrers bei der Kontrolle

Erschwerend kam hinzu, dass der Fahrer während der Verkehrskontrolle keinerlei Einsicht in sein Fehlverhalten zeigte. Im Gegenteil, er verweigerte jede Aussage und zeigte sich uneinsichtig gegenüber den Vorwürfen. Aus den Ermittlungen ging zudem hervor, dass er bereits in der Vergangenheit mehrfach durch grobes Fehlverhalten im Straßenverkehr aufgefallen war. Das Gericht bewertete die Uneinsichtigkeit und wiederholte Missachtung der Verkehrsregeln als zusätzliche Indizien, dass er sich weder von polizeilichen Ansprachen noch Bußgeldern beeindrucken ließ. Die hohe Wiederholungsgefahr machte in diesem Fall die Sicherstellung des Fahrzeugs notwendig.

Wiederholungsgefahr als Grund für die Einziehung des Fahrzeugs

Die hohe Gefahr, dass der Fahrer in naher Zukunft ähnliche Verstöße begehen könnte, war für das VG Neustadt ausschlaggebend. Nach Einschätzung des Gerichts hatte sich der Fahrzeugführer durch seine bisherigen Verstöße und seine Uneinsichtigkeit als eine Gefahr für die Allgemeinheit erwiesen. In solchen Fällen ist die Sicherstellung eines Fahrzeugs rechtlich zulässig und gilt als präventive Maßnahme, um weitere Gefahren abzuwenden.

Deutschland: Einziehung von Fahrzeugen als seltene Maßnahme

In Deutschland ist die Sicherstellung oder Einziehung von Fahrzeugen aufgrund von Verkehrsverstößen im Gegensatz zu anderen Ländern noch nicht die Regel. Während es bei schweren Straftaten wie illegalen Autorennen zu dauerhaften Einziehungen kommen kann, sind solche Maßnahmen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten wie Geschwindigkeitsübertretungen selten und in der Regel präventiv motiviert. In Deutschland greift die Polizei zur Sicherstellung eines Fahrzeugs nur, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. In schwerwiegenden Fällen kann dann ein Gericht über eine dauerhafte Einziehung entscheiden, bei der das Fahrzeug versteigert werden könnte.

Andere europäische Länder setzen striktere Regelungen durch

In anderen europäischen Ländern wird die Einziehung von Fahrzeugen bei Verkehrsverstößen schneller und häufiger vollzogen. In Italien kann ein Fahrzeug etwa ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille beschlagnahmt und versteigert werden, wenn der Fahrzeughalter für das Vergehen verantwortlich ist. Die Schweiz geht bei groben Verkehrsverstößen ebenfalls rigoros vor: Hier können selbst Miet- oder Leasingfahrzeuge sichergestellt und versteigert werden, unabhängig davon, ob das Fahrzeug dem Fahrer gehört. Auch in Österreich droht bei hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen die sofortige Sicherstellung und Versteigerung des Fahrzeugs.

Sicherstellung als Zeichen für höhere Verkehrssicherheit

Das Urteil des VG Neustadt und die strikteren Maßnahmen in anderen Ländern weisen auf ein steigendes Bewusstsein für Verkehrssicherheit hin. Besonders rücksichtsloses Verhalten, das das Leben anderer gefährdet, trifft in immer mehr europäischen Ländern auf Konsequenzen, die über klassische Bußgelder hinausgehen. Die Sicherstellung oder Einziehung eines Fahrzeugs sendet dabei eine klare Botschaft an Verkehrsteilnehmer: Rücksichtlosigkeit im Straßenverkehr wird nicht toleriert und kann harte Maßnahmen nach sich ziehen.

Rechtliche Grundlagen zur Sicherstellung von Fahrzeugen in Deutschland

Die rechtliche Grundlage für die Sicherstellung von Fahrzeugen in Deutschland ist im Polizeigesetz der Länder sowie im Strafgesetzbuch verankert. Die Sicherstellung erfolgt in der Regel präventiv und dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Wenn ein Fahrzeug für die öffentliche Sicherheit eine Gefahr darstellt, kann die Polizei es nach dem Polizeigesetz des jeweiligen Bundeslandes sicherstellen. In Fällen, die als vorsätzliche Straftaten eingestuft werden, wie etwa illegale Autorennen, kann das Fahrzeug gemäß §§ 74 ff. StGB eingezogen und versteigert werden. Das VG Neustadt stellte in diesem Fall jedoch klar, dass auch präventive Maßnahmen wie die Sicherstellung gerechtfertigt sind, wenn eine konkrete Gefahr von einem Fahrzeug und dessen Fahrer ausgeht.

Sicherstellung als wirksame Maßnahme gegen Verkehrssünder

Die Sicherstellung eines Fahrzeugs kann in Deutschland bei besonders schwerwiegenden Verkehrsverstößen rechtmäßig und notwendig sein. Das Urteil des VG Neustadt verdeutlicht, dass diese Maßnahme gerechtfertigt ist, wenn andere Verkehrsteilnehmer gefährdet sind und keine Einsicht des Fahrers erkennbar ist. Rücksichtslose Verkehrssünder müssen zunehmend damit rechnen, dass die Polizei bei gravierenden Verstößen nicht nur Bußgelder verhängt, sondern auch weitergehende Maßnahmen ergreift, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.

Damit werden auch in Deutschland, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, Maßnahmen zur Sicherstellung von Fahrzeugen bei besonders schweren Verkehrsverstößen genutzt, um eine Abschreckung und erhöhte Verkehrssicherheit zu gewährleisten.


Quelle(n): https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/verkehrsrecht/sicherstellung-eines-fahrzeugs-nach-grober-verkehrswidrigkeit_212_620654.html


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