Artikel vom 03.11.2024
Überhöhte Kosten bei Kfz-Sachverständigen: BGH stärkt die Rechte von Unfallgeschädigten
Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Rechte von Unfallgeschädigten gestärkt und stellt klar, dass diese nicht für überhöhte Rechnungen eines beauftragten Kfz-Sachverständigen haften müssen. Der BGH hat in seiner Entscheidung die Grundsätze zum sogenannten Werkstattrisiko auf das Sachverständigenrisiko ausgeweitet und eine klare Linie gezogen, dass die Verantwortung für die Angemessenheit der Kosten dem Unfallverursacher obliegt. Diese neue Entscheidung hat für Unfallopfer weitreichende Konsequenzen und sorgt für mehr Rechtssicherheit bei der Beauftragung von Gutachtern.
Das Sachverständigenrisiko im Überblick – Was das Urteil für Unfallgeschädigte bedeutet
Das Sachverständigenrisiko beschreibt die Gefahr, dass ein Kfz-Sachverständiger für die Bewertung eines Unfallschadens höhere Kosten veranschlagt, als dies üblicherweise gerechtfertigt wäre. Unfallgeschädigte sind laut dem neuen BGH-Urteil jedoch vor solchen Kostenübernahmen geschützt. Der Geschädigte hat zwar das Recht, einen Gutachter seiner Wahl zu beauftragen, muss aber nicht das Risiko von überhöhten Rechnungsansätzen tragen. Diese Verantwortung liegt laut BGH-Urteil beim Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung. Durch diese Entscheidung ist es Unfallopfern möglich, sich auf die Expertise des Gutachters zu verlassen, ohne später für überzogene Rechnungspositionen zur Verantwortung gezogen zu werden.
Hintergrund zum Werkstattrisiko – Grundlage für das Sachverständigenrisiko
Die BGH-Entscheidung beruht auf dem Grundsatz des Werkstattrisikos, der besagt, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls auch dann die Reparaturkosten von der gegnerischen Versicherung ersetzt bekommt, wenn die Werkstatt eine überhöhte Rechnung stellt. Der Grund für diese Regelung ist, dass die Einflussmöglichkeiten des Geschädigten auf die Preisgestaltung der Werkstatt sehr begrenzt sind. Auch besitzt der Geschädigte in der Regel nicht die notwendige fachliche Kompetenz, um die Berechtigung der einzelnen Rechnungspositionen zu beurteilen. Der BGH sieht diese Regelung auch auf das Sachverständigenrisiko anwendbar, da das Verständnis und die Einflussmöglichkeiten des Geschädigten gegenüber den Kosten eines Sachverständigen ähnlich begrenzt sind.
Der konkrete Fall: Streitpunkt „Corona-Schutzmaßnahmen“ in der Rechnung
Im aktuellen Fall beauftragte der Geschädigte ein Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des Schadens an seinem Fahrzeug. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners übernahm die Gutachterkosten, verweigerte jedoch die Erstattung einer Kostenposition für „Corona-Schutzmaßnahmen“, die vom Sachverständigen mit 20 Euro angesetzt wurde. Diese Position deckte unter anderem Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe ab. Der Geschädigte hatte die Ansprüche auf Erstattung der Gutachterkosten an die Inhaberin des Sachverständigenbüros abgetreten, welche diesen Betrag gerichtlich einforderte. Die Klage scheiterte jedoch zunächst in den ersten beiden Instanzen.
Revision beim BGH – Sachverständigenkosten müssen ersetzt werden
Die Inhaberin des Sachverständigenbüros ging in Revision und erzielte beim BGH schließlich einen Erfolg. Der BGH entschied, dass der Geschädigte grundsätzlich berechtigt war, den Sachverständigen seiner Wahl zu beauftragen und dass er nicht die Kostenstruktur oder die Angemessenheit einzelner Rechnungspositionen prüfen muss. Die Entscheidung bedeutet für die Haftpflichtversicherungen, dass diese auch ungewöhnliche oder erhöhte Posten in den Gutachterrechnungen übernehmen müssen, solange der Geschädigte glaubhaft machen kann, dass die Maßnahmen – wie etwa Corona-Schutzmaßnahmen – aus seiner Perspektive notwendig erschienen.
Unfallopfer und das Recht auf Erstattung auch bei überhöhten Sachverständigenkosten
Unfallopfer profitieren von der Entscheidung des BGH in mehrfacher Hinsicht. Sie können darauf vertrauen, dass die beauftragten Sachverständigen ihre Arbeit zuverlässig und im Rahmen üblicher Standards ausführen, ohne selbst die fachliche Überprüfung leisten zu müssen. Durch die Ausweitung des Werkstattrisikos auf das Sachverständigenrisiko wird der Geschädigte auch nicht für überhöhte Rechnungspositionen zur Rechenschaft gezogen, da das Haftungsrisiko beim Unfallverursacher liegt. Der Grundsatz des Vorteilsausgleichs erlaubt es dem Schädiger allerdings, gegebenenfalls die Abtretung von Ansprüchen gegen die Werkstatt oder den Sachverständigen vom Geschädigten zu verlangen, wenn die Rechnung auffällig überhöht ist.
Sachverständigenrisiko schützt den Geschädigten, nicht den Sachverständigen
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Sachverständigenrisiko ausschließlich zugunsten des Geschädigten gilt und nicht vom Sachverständigen selbst in Anspruch genommen werden kann. Der BGH betont, dass ein Gutachter sich nicht auf diesen Grundsatz berufen darf, wenn er eine zu hohe Rechnung ausstellt. Im Fall der 20 Euro für „Corona-Schutzmaßnahmen“ müsste das Sachverständigenbüro daher nachweisen, dass diese Maßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden, dass sie objektiv notwendig waren und dass die dafür in Rechnung gestellten Kosten angemessen waren.
Folgen für den Umgang mit Sachverständigenkosten nach Unfällen
Die Entscheidung des BGH stellt eine klare Rechtsgrundlage für den Umgang mit Gutachterkosten in der Unfallregulierung dar. Der Geschädigte hat die Freiheit, den Sachverständigen zu beauftragen, den er für kompetent hält, ohne für eventuelle Fehler oder Preisaufschläge des Gutachters belangt zu werden. Diese Entscheidung schafft Rechtssicherheit und befreit den Geschädigten von der Notwendigkeit, sich mit den Details der Rechnungspositionen eines Gutachters auseinanderzusetzen.
Rückverweisung an die Vorinstanz zur Klärung offener Fragen
Im vorliegenden Fall muss die Vorinstanz nun klären, ob die vom Sachverständigen berechneten „Corona-Schutzmaßnahmen“ tatsächlich erforderlich waren und in einem angemessenen Verhältnis zu den entstandenen Kosten stehen. Der BGH wies darauf hin, dass Sachverständige in Bezug auf ihr Hygienekonzept während der Pandemie gewisse Spielräume haben, um sowohl den Schutz ihrer Mitarbeiter als auch den der Kunden zu gewährleisten.
Rechtsfolgen und Bedeutung des Urteils für künftige Fälle
Das Urteil des BGH stärkt den Verbraucherschutz und sorgt dafür, dass Unfallgeschädigte für die Kosten eines Sachverständigen nicht haftbar gemacht werden können, auch wenn die Rechnungen als überhöht angesehen werden. In künftigen Fällen können Unfallopfer erwarten, dass sie für die Einschätzung und Arbeit eines Gutachters nicht mit ihrem eigenen Geld haften müssen, selbst wenn diese möglicherweise teurer ausfallen, als dies für die Beurteilung des Schadens zwingend notwendig wäre. Versicherungen sind somit verpflichtet, diese Kosten zu übernehmen und können diese nur in Ausnahmefällen ablehnen oder durch eine gerichtliche Klärung anfechten.
Durch die Etablierung des Sachverständigenrisikos profitieren Geschädigte erheblich und können sich im Schadensfall auf die Unterstützung durch ihre Versicherungen verlassen, ohne das Risiko überhöhter Rechnungen tragen zu müssen.
Quelle(n): https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/verkehrsrecht/grundsaetze-zum-werkstattrisiko-auch-bei-sachverstaendigenrisiko_212_622224.html