Artikel vom 19.06.2024
Verbotene Eigenmacht bei Selbstabholung eines vermieteten Fahrzeugs

Die Selbstabholung eines Fahrzeugs durch den Vermieter bei Zahlungsrückstand des Mieters stellt verbotene Eigenmacht dar. Wird das Fahrzeug anschließend vom Vermieter veräußert, ist dieser zum Wertersatz verpflichtet und schuldet zudem Nutzungsentschädigung für einen angemessenen Zeitraum bis zur Ersatzbeschaffung, wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) in einem aktuellen Urteil entschied.
Vermietung und anschließende Selbstabholung
Die Beklagte betreibt ein bundesweit zugelassenes Pfandleihhaus und bietet neben klassischen Pfandleihgeschäften auch das „cash & drive“-Modell an. Dieses Modell richtet sich an Personen mit kurzfristigem Liquiditätsengpass und ohne Kreditwürdigkeit. Die Beklagte kauft Fahrzeuge von Eigentümern und vermietet sie anschließend gegen eine monatliche Gebühr an diese zurück. Im vorliegenden Fall verkaufte die Klägerin ihren neun Jahre alten Hyundai Kleinwagen für 1.500 € an die Beklagte und mietete ihn für 148,50 € monatlich zurück. Nach Ablauf der Mietzeit sollte das Fahrzeug innerhalb von 24 Stunden zurückgegeben werden.
AGBs und deren Konsequenzen
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beklagten erlaubten es, das Fahrzeug selbst in Besitz zu nehmen, es ohne Ankündigung sicherzustellen und hierfür auch das befriedete Besitztum des Mieters zu betreten. Als die Klägerin die Mietzahlungen einstellte, kündigte die Beklagte das Mietverhältnis, forderte das Fahrzeug zurück, holte es ohne Zustimmung der Klägerin ab und versteigerte oder verkaufte es. Der Verbleib des Fahrzeugs blieb ungeklärt.
Gerichtsurteil: Wertersatz und Nutzungsentschädigung
Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Wertersatz und Nutzungsentschädigung in Höhe von rund 8.700 €, wobei ein Mitverschulden der Klägerin von 50% berücksichtigt wurde. Die Berufung der Beklagten hatte im Wesentlichen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht bestätigte, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen der Wegnahme des Fahrzeugs zusteht. Die Beklagte habe „verbotene Eigenmacht“ ausgeübt, und die AGBs, die dieses Vorgehen erlaubten, seien wegen unangemessener Benachteiligung der Kunden unwirksam.
Verbotene Eigenmacht und Unwirksamkeit der AGBs
Die Beklagte handelte fahrlässig, obwohl sie davon ausging, dass die Sicherstellung des Fahrzeugs rechtmäßig sei. Das Gericht betonte, dass § 858 ff. BGB im Mietverhältnis oder im Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer Selbstexekution oder Selbstjustiz verhindern sollen. Die Beklagte hätte aufgrund der rechtlichen Bedenken verschiedener Gerichte gegen ihr Geschäftsmodell damit rechnen müssen, dass ihr Vorgehen unrechtmäßig sein könnte und gegen Treu und Glauben verstoßen würde.
Anspruch auf Wertersatz und Nutzungsentschädigung
Die Klägerin hat Anspruch auf Wertersatz für den Verlust des Fahrzeugs. Zudem schuldet die Beklagte Nutzungsentschädigung für die gesamte Dauer der Vorenthaltung. Die Klägerin verstieß jedoch gegen ihre Schadensminderungspflicht, da sie fast zwei Jahre mit einer Ersatzbeschaffung zögerte. Der Anspruch auf Nutzungsausfall ist wie der Anspruch auf Mietwagenkosten auf die erforderliche Ausfallzeit beschränkt. Die Klägerin konnte nicht darauf vertrauen, ihr Fahrzeug wiederzuerlangen, hätte aber früher Ersatz beschaffen sollen.
Weiterer Verlauf und mögliche Revision
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen, um die Zulassung der Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) zu beantragen.
Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil unterstreicht die Wichtigkeit des rechtmäßigen Handelns bei der Sicherstellung von Fahrzeugen im Mietverhältnis. Die Ausübung verbotener Eigenmacht und die Nutzung unangemessener AGBs können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen haben. Vermieter sollten sicherstellen, dass ihre Geschäftsbedingungen fair und rechtlich einwandfrei sind, um solche Streitigkeiten zu vermeiden.
Rechtmäßigkeit und Kundenrechte
Das Urteil des OLG Frankfurt am Main macht deutlich, dass Vermieter von Fahrzeugen die Rechte ihrer Mieter respektieren müssen. Selbst bei Zahlungsrückstand ist die eigenmächtige Sicherstellung und Verwertung des Fahrzeugs ohne Zustimmung des Mieters unzulässig und kann zu erheblichen Schadensersatzforderungen führen. Unternehmen im Bereich Pfandleihwesen und Fahrzeugvermietung sollten ihre Vertragsklauseln und Geschäftsmodelle regelmäßig auf rechtliche Konformität prüfen lassen, um verbotene Eigenmacht und die daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.5.2023, Az. 2 U 165/21
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