Artikel vom 27.04.2025
Verkehrsunfall beim Linksabbiegen: Wann haftet der Radfahrer?

Verkehrsunfälle mit Radfahrern sind im deutschen Straßenverkehr leider keine Seltenheit. Besonders beim Linksabbiegen kommt es häufig zu Kollisionen mit Autos. Doch wer haftet in solchen Fällen? Dieser Artikel beleuchtet einen konkreten Fall aus der deutschen Rechtsprechung und erklärt anhand der geltenden Vorschriften, welche Pflichten Fahrradfahrer und Autofahrer beim Linksabbiegen beachten müssen. Besonderes Augenmerk legen wir auf das Verkehrsrecht in Deutschland und wie Gerichte die Haftungsverteilung in solchen Unfallsituationen bewerten.
Der Fall: Zusammenstoß beim Linksabbiegen
Am 9. April 2018 ereignete sich in Duisburg ein schwerer Verkehrsunfall. Ein 1952 geborener Radfahrer wollte auf der A.-Straße nach links in Richtung eines Baumarktes abbiegen. Hinter ihm näherte sich ein Pkw Seat Leon, gesteuert von einem Beklagten, der den Radfahrer überholen wollte. Beim Abbiegen kam es zur Kollision, bei der der Radfahrer schwer verletzt wurde. Die zentrale Streitfrage im Prozess war die Haftungsquote.
Das Landgericht Duisburg verurteilte zunächst den Autofahrer zu einer Mitschuld. In der Berufung wurde dieses Urteil jedoch abgeändert: Der Kläger trägt die alleinige Verantwortung für den Unfall.
Wichtige Vorschriften beim Linksabbiegen im deutschen Verkehrsrecht
Nach deutschem Verkehrsrecht – insbesondere § 9 Absatz 1 und Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) – haben Abbieger besondere Sorgfaltspflichten. Fahrradfahrer, die nach links abbiegen wollen, müssen sich zunächst zur Fahrbahnmitte einordnen und sich durch eine doppelte Rückschau vergewissern, dass der Abbiegevorgang gefahrlos möglich ist. Zudem verlangt § 9 Abs. 5 StVO ausdrücklich, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden muss.
Im vorliegenden Fall verletzte der Radfahrer diese Sorgfaltspflichten mehrfach:
- Er ordnete sich nicht ordnungsgemäß zur Fahrbahnmitte ein.
- Er führte keine zweite Rückschau durch, um den nachfolgenden Verkehr zu kontrollieren.
- Er setzte trotz erkennbaren Überholvorgangs eines Fahrzeugs seinen Abbiegevorgang fort.
Diese Verstöße führten dazu, dass der Radfahrer die alleinige Haftung für den Unfall übernehmen musste.
Anscheinsbeweis bei Grundstücksabbiegern
Ein zentrales Thema bei solchen Unfällen ist der sogenannte Anscheinsbeweis. Dieser greift, wenn ein Abbieger aus dem fließenden Verkehr auf ein Grundstück fährt und es dabei zur Kollision kommt. Die Rechtsprechung geht in diesen Fällen grundsätzlich davon aus, dass der Abbieger den Unfall verursacht hat, es sei denn, er kann das Gegenteil beweisen.
Im verhandelten Fall stützte sich das Gericht auf diesen Anscheinsbeweis. Ergänzend kamen die Aussagen des Radfahrers und ein unfallanalytisches Gutachten zum Tragen, die sein Fehlverhalten bestätigten.
Überholvorgang und unklare Verkehrslage: Wann haftet der Autofahrer?
Laut § 5 Abs. 3 StVO ist das Überholen nur erlaubt, wenn eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Besonders bei unklaren Verkehrslagen – beispielsweise, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug ein Handzeichen zum Linksabbiegen gibt – dürfen Autofahrer nicht überholen.
Im vorliegenden Fall konnte jedoch kein schuldhaftes Verhalten des Autofahrers festgestellt werden:
- Es wurde nicht bewiesen, dass der Radfahrer tatsächlich ein Handzeichen gegeben hatte.
- Der Autofahrer hielt die zulässige Geschwindigkeit ein.
- Der Autofahrer befand sich bereits im Überholvorgang, als der Radfahrer ohne ausreichende Rückschau und Einordnung plötzlich nach links zog.
Somit wurde die einfache Betriebsgefahr des Pkw hinter das grob verkehrswidrige Verhalten des Radfahrers zurückgestellt.
Die Rolle des Sachverständigengutachtens
Ein unfallanalytisches Gutachten spielte eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung. Der Sachverständige rekonstruierte den Unfallhergang und kam zu dem Ergebnis, dass der Pkw mit einer Annäherungsgeschwindigkeit von etwa 40 km/h unterwegs war – deutlich unter der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.
Das Gutachten bestätigte auch, dass der Autofahrer den Unfall nur hätte vermeiden können, wenn er mit einer Geschwindigkeit von maximal 38 km/h gefahren wäre. Diese minimale Differenz reichte dem Gericht jedoch nicht aus, um ein Mitverschulden des Autofahrers anzunehmen.
Haftungsverteilung nach deutschem Verkehrsrecht
Das deutsche Verkehrsrecht verlangt bei der Haftungsverteilung eine Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile (§§ 9 StVG, 254 BGB). Im Ergebnis entschied das Berufungsgericht:
- Die grobe Pflichtverletzung des Radfahrers überwiegt.
- Ein Mitverschulden des Autofahrers konnte nicht bewiesen werden.
- Die einfache Betriebsgefahr des Pkw tritt hinter dem schwerwiegenden Verstoß des Radfahrers zurück.
In vergleichbaren Fällen haben auch andere Obergerichte vollständige Haftung des abbiegenden Fahrradfahrers angenommen, etwa das OLG Hamm und das OLG Saarbrücken.
Konsequenzen für Fahrradfahrer beim Abbiegen
Dieser Fall zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, die gesetzlichen Vorschriften beim Linksabbiegen einzuhalten:
- Rechtzeitiges Handzeichen geben.
- Einordnung zur Fahrbahnmitte.
- Zweifache Rückschau vor und während des Abbiegevorgangs.
- Abbiegen nur, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Fahrradfahrer tragen beim Abbiegen eine hohe Verantwortung. Missachten sie diese Sorgfaltspflichten, können sie im Falle eines Unfalls alleine für den entstandenen Schaden haften.
Fazit: Klare Regeln, klare Haftung
Das deutsche Verkehrsrecht legt beim Linksabbiegen strenge Maßstäbe an, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Fahrradfahrer müssen besonders vorsichtig sein und ihre Fahrmanöver sorgfältig vorbereiten und durchführen. Wer sich nicht an diese Regeln hält, riskiert nicht nur seine Gesundheit, sondern auch eine vollständige Haftung bei einem Verkehrsunfall.
Quelle(n): https://openjur.de/u/2387248.html Bild von Stephan Wusowski auf Pixabay