Artikel vom 24.10.2025
Voller Schadensersatz für Fußgängerin trotz dunkler Kleidung
Am Amtsgericht Schwandorf wurde am 19.04.2023 im Verfahren 2 C 263/22 entschieden, dass eine Fußgängerin nach einem Abbiegeunfall vollen Schadensersatz und Schmerzensgeld erhält. Die Autofahrerin und ihre Haftpflichtversicherung hatten zunächst eine Teilschuld der Fußgängerin geltend gemacht, da diese dunkel gekleidet war. Das Gericht wies diese Einwände zurück und bestätigte die alleinige Verantwortung der Autofahrerin. Im Kern stützte sich die Entscheidung auf die besonderen Pflichten eines abbiegenden Fahrers gegenüber Fußgängern nach § 1 Abs. 2 StVO, der besagt, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich so verhalten muss, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert wird. Außerdem wurde die Einhaltung der Sorgfaltspflicht beim Abbiegen (§ 9 Abs. 3 StVO) berücksichtigt, die eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber querenden Fußgängern vorschreibt.
Unfallhergang
Die Fußgängerin wollte eine Querstraße überqueren, als ein Pkw von der Hauptstraße nach links abbog und sie erfasste. Sie wurde dabei auf die Motorhaube geschleudert und zu Boden geworfen, was zu Verletzungen wie einem Nasenbeinbruch, einer Schädelprellung sowie Prellungen an Oberschenkel und Knie führte. Zusätzlich wurde ihre Brille zerstört. Aus verkehrsrechtlicher Sicht handelt es sich hierbei um einen klassischen Abbiegeunfall, bei dem der abbiegende Fahrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gegenüber Fußgängern hat. Das Gericht bewertete, dass die Fußgängerin sich korrekt im Bereich des Zebrastreifens oder der Fußgängerfurt bewegte, sodass eine Verantwortung ihrerseits, wie sie die Beklagten geltend machten, verkehrsrechtlich nicht begründet war.
Rechtliche Bewertung der Rücksichtnahmepflicht
Die Klage stützte sich auf die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) zur besonderen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) und die Pflicht zur Einhaltung der Vorfahrt von Fußgängern beim Abbiegen (§ 9 Abs. 3 StVO). Das Gericht stellte fest, dass die Autofahrerin diese Pflichten verletzt hatte, da sie beim Abbiegen nicht ausreichend auf die Fußgängerin achtete und den Fußgängerverkehr nicht ordnungsgemäß berücksichtigte. Verkehrsrechtlich ist festzuhalten, dass die Beleuchtung und Sichtbarkeit von Fußgängern insbesondere in der Dämmerung oder Nacht nicht dazu führen darf, dass die Pflichten des Fahrers reduziert werden. Selbst bei dunkel gekleideten Fußgängern muss der Abbiegende die Geschwindigkeit anpassen, bremsbereit sein und nötigenfalls anhalten, um eine Gefährdung zu vermeiden.
Beweisführung und Sachverständigengutachten
Ein unabhängiges Sachverständigengutachten bestätigte die Darstellung der Fußgängerin: Verletzungen, Spuren am Unfallort und die Endposition des Fahrzeugs stimmten mit einem Kontakt überein. Das Gutachten analysierte insbesondere die Anprallwinkel, die Bremsspuren und die Position der Fußgängerin, um festzustellen, ob eine Kollision mit dem Fahrzeug tatsächlich erfolgte. Verkehrsrechtlich gilt ein solches Gutachten als wesentliches Beweismittel, da es objektive Rückschlüsse auf das Verhalten der Unfallbeteiligten ermöglicht und die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überprüfbar macht. Widersprüchliche Aussagen der Unfallbeteiligten können so sachlich bewertet werden.
Haftung von Fahrer und Versicherung
Die Haftung der Autofahrerin und der Haftpflichtversicherung wurde als gesamtschuldnerisch festgestellt. Nach § 830 BGB haften mehrere Schuldner als Gesamtschuldner, was bedeutet, dass der Geschädigte den vollen Schaden von jedem der Schuldner verlangen kann. Aus verkehrsrechtlicher Sicht bedeutet dies, dass der Fahrer nicht nur persönlich haftet, sondern auch die Haftpflichtversicherung als obligatorischer Vertragspartner eintritt. Dies sichert den Geschädigten ab, insbesondere bei der Geltendmachung von Ansprüchen wie Schmerzensgeld, Heilbehandlungskosten oder Ersatz beschädigter Gegenstände.
Höhe und Art des Schadenersatzes
Das Gericht sprach der Fußgängerin Ersatz für die beschädigte Brille, eine Kostenpauschale für kleinere Auslagen, Schmerzensgeld sowie vorgerichtliche Anwaltskosten zu. Konkret wurden 895 Euro für die Brille und Kostenpauschale und 2.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Das Schmerzensgeld bemisst sich nach der Schwere der Verletzungen, der Dauer der Beeinträchtigung, der durchgeführten Operationen und der erlittenen Schmerzen. Versicherungsrechtlich sind diese Zahlungen durch die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers abgedeckt. Die Entscheidung verdeutlicht die Rechtslage: Bei eindeutig verschuldeten Abbiegeunfällen besteht ein Anspruch auf vollständige Kompensation der materiellen und immateriellen Schäden.
Abweisung der Einwände der Autofahrerin
Die Einwände der Autofahrerin – kein Zusammenstoß, Fußgängerin aus Gebüsch getreten, dunkle Kleidung, Abzug „Neu für Alt“ bei Brillen – wurden vollständig zurückgewiesen. Verkehrsrechtlich gilt: Die Sichtbarkeit eines Fußgängers in der Dunkelheit entbindet den Fahrer nicht von seiner Sorgfaltspflicht. Versicherungsrechtlich zeigt dies, dass bloße Behauptungen der Unfallgegnerin nicht genügen; es bedarf objektiver Beweise, wie sie durch Gutachten erbracht werden. Ein Abzug „Neu für Alt“ bei individuellen Gegenständen wie Brillengläsern ist nur dann zulässig, wenn nachweisbar ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden ist, was hier nicht der Fall war.
Rechtliche Kernaussagen
Autofahrer, die abbiegen, müssen Fußgängern Vorrang gewähren und auf deren sichere Überquerung achten. Notfalls ist anzuhalten, um eine Kollision zu vermeiden. Autofahrer und Haftpflichtversicherungen haften gesamtschuldnerisch für den gesamten Schaden. Dunkle Kleidung des Fußgängers begründet keine Mitschuld, wenn die Sichtbarkeit durch Fahrzeugbeleuchtung gegeben ist. Unabhängige Gutachten sind entscheidend, um den Unfallhergang objektiv zu rekonstruieren und widersprüchliche Aussagen zu bewerten. Schadenersatz umfasst materielle Schäden, Heilbehandlung, Schmerzensgeld, kleinere Auslagen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Das Urteil unterstreicht die Wichtigkeit der Einhaltung der Sorgfaltspflichten und die Rolle objektiver Beweismittel im Verkehrsrecht.
Quelle(n): https://www.verkehrsrechtsiegen.de/artikel/unfall-fussgaenger-abbieger-schadenersatz/ Bild von StockSnap auf Pixabay