Artikel vom 27.02.2023

Bundesgerichtshof zu Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung: Dieselskandal fordert Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung mit der Frage beschäftigt, ob ein Käufer eines mangelhaften Neufahrzeugs (im Falle des sogenannten Dieselskandals) vom Kaufvertrag zurücktreten kann, ohne dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung zu geben. Der Kläger hatte im Jahr 2015 ein Neufahrzeug bei einer Fahrzeughändlerin erworben, wobei es sich um ein Fahrzeug mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 handelte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen, die einen Prüfstandlauf erkennen, im Verlauf des Dieselskandals öffentlich bekannt wurden, erklärte der Kläger 2017 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Der BGH hatte nun über die Rechtmäßigkeit des Rücktritts ohne vorherige Fristsetzung zu entscheiden.

Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtung

Im Falle des sogenannten Dieselskandals hatte die Volkswagen AG bei Dieselmotoren des Typs EA 189 unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet, die den Ausstoß von Stickoxiden beim Prüfstandlauf verringerten. Daher hatte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf ein von der zuständigen Behörde freigegebenes Software-Update, das die Beseitigung des Mangels bewirken sollte. Da der Kläger jedoch negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete, ließ er das Software-Update nicht aufspielen.

Entscheidung der Vorinstanzen

Die Vorinstanzen haben der auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage weitgehend stattgegeben. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei eine vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger nicht gehalten sei, mit der Durchführung des Software-Updates die Beseitigung des Mangels letztlich der Herstellerin zu überlassen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Update keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug oder den Fahrbetrieb entfalte. Der Wert des bei Rückabwicklung des Kaufvertrags vom Kläger für die Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu leistenden Ersatzes wurde im Wege der Schätzung bestimmt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Nacherfüllungsfrist bei der Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer nicht allein deshalb entbehrlich ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht wurde oder der Verdacht besteht, dass ein zur Mangelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könnte. Vielmehr bedarf es in einer solchen Fallgestaltung zunächst weitergehender Prüfung und Feststellungen durch das Tatgericht. Eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Fristsetzung zur Nacherfüllung erforderlich ist, kann allerdings dann vorliegen, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar wäre oder besondere Umstände den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dazu zählt auch, wenn der Verkäufer dem Käufer bei Vertragsabschluss einen ihm bekannten Mangel arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Allerdings lässt sich diese Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf Fallgestaltungen übertragen, in denen der Verkäufer selbst von dem Mangel bei Vertragsabschluss nicht wusste. In solchen Fällen ist es Sache der Tatgerichte, die konkreten Umstände des Einzelfalls in sorgfältiger Abwägung zu würdigen. Dazu gehört es auch zu prüfen, ob ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers aus objektiver Sicht auszuschließen ist und eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung sich auf dessen früheres arglistiges Vorgehen stützen lässt. Ebenso ist vorliegend ein sofortiger Rücktritt nicht bereits deshalb gerechtfertigt, weil das vom Verkäufer angebotene Software-Update mit dem Verdacht oder gar einer tatsächlichen Vermutung negativer Folgen für das Fahrzeug und dessen Betrieb behaftet wäre. Vielmehr ist durch entsprechende Feststellungen und ein Sachverständigengutachten zu klären, ob und in welchem Umfang das Update tatsächlich zu den behaupteten Folgeschäden führt. Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und es an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachgeholt werden können. Hingegen wurde die Revision des Klägers, mit welcher dieser die Bemessung des bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrages in Abzug zu bringenden Nutzungsersatzes als überhöht angreift, zurückgewiesen, da die Instanzgerichte ihrer Schätzung die zeitanteilige lineare Wertminderung zu Grunde gelegt haben, wobei sie sich an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittelklassewagen orientiert haben.


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